Realsatire: Linkgeiz

Beim Denken ans Vermögen
leidet oft das Denkvermögen.

Karl Farkas, österreichischer Kabarettist

Disclaimer: Ich überfliege zugegebenermaßen gelegentlich den »Webmaster Friday«, um etwas zum Lachen zu haben. Ich mag gute Realsatiren. Und. Es ist einfach zu possierlich und niedlich, wenn ich anhand der Themenwahl für den »Webmaster Friday« einen Eindruck davon bekomme, wie die Zielgruppe dieser Website – SEO-Schlangenölhändler, Web-Monetarisierer und andere erbärmliche Hungerkaufleute – über die Dinge zu »denken« pflegt.

Doch heute gibt es ein Thema, das ist so realsatirisch wertvoll, dass ich mich beim Lesen fast eingenässt hätte:

Linkgeiz oder nicht?

Kennt ihr das? Man hat einen guten Artikel zu einem Thema geschrieben, und ein paar Tage später schreibt eine anderer [sic!] darüber. Es ist keine Kopie, bestenfalls scheint es durch den eigenen Artikel inspiriert zu sein, aber: keine Erwähnung im Text – und natürlich auch kein Link. Oder man liest einen Artikel, in dem vieles angerissen ist – und man weiß genau, dass es gute Linkziele dafür gäbe, nur: nichts davon wird erwähnt […]

Nun, um die scheinbar gestellte Frage »Kennt ihr das« zu beantworten, die in unbeholfener rhetorischer Verkleidung nur dazu da ist, manipulativ wirksam die Unzweifelhaftigkeit des Faktischen ins Thema hineinzuziehen: Nein, ich kenne das nicht.

Ob das nun daran liegt, dass ich keine »guten Artikel zu einem Thema« schreibe, oder ob es daran liegt, dass ich mir auch im Internet (keineswegs nur im Web) ein leidlich zivilisiertes Umfeld suche oder schaffe, weiß ich natürlich nicht. Wer mich referenziert, setzt in aller Regel (aber natürlich nicht immer) einen Link.

Viel interessanter finde ich die Frage, wo der von SEO-Schlangenölverkäufern, Web-Monetarisierern und sonstigen jämmerlichen Hungerkaufleuten beobachtete, postulierte und in der heutigen Linkbait des »Webmaster Friday« indirekt sogar beklagte »Linkgeiz« kommt.

Dieser »Linkgeiz« kommt nämlich nicht aus dem Nichts, sondern hat klare, auf der Hand liegende Ursachen. Wer diese Ursachen versteht, der versteht erstens, warum ich seit einer Stunde ein fettes (und leider auch einmal ziemlich unangemessenes) Grinsen im Gesicht habe, wann immer ich an diesen Artikel des »Webmaster Friday« denke; und er versteht zweitens, was im Internet der SEO-Schlangenölverkäufer, Web-Monetarisierer und sonstigen schäbigen Hungerkaufleute schief läuft.

Es gibt ja objektiv keinen Grund, mit Links zu »geizen«.

Das Setzen eines Links im Web ist mit minimalem Aufwand verbunden. Es wertet außerdem den eigenen Text auf, wenn man dem interessierten Leser die Möglichkeit gibt, sich anhand von Quellen ein eigenes Bild zu machen oder sich tiefer in ein angeschnittenes Thema einzulesen. Ein Text ohne Links ist für den Leser des Textes schlecht, und er spart dem Autor des Textes keine Arbeit, wenn er eh einige Dinge nachgeschlagen und recherchiert hat und deshalb die Adressen guter Ressourcen schon vorliegen hat.

Es ist ja auch nicht so, dass Links eine beschränkte Ressource wären. Es kann durchaus sinnvoll sein, mit einer Tafel Schokolade oder einer Tüte Lakritz zu geizen, denn jedes Stück, dass ich davon abgebe, habe ich hinterher weniger für mich selbst – und zwar mit ungewisser Aussicht, jemals etwas zurückzuerhalten. Wer einen Link setzt, hat hinterher nicht weniger Gelegenheiten, Links zu setzen oder im Internet zu veröffentlichen. Der »Geiz« ist pure Dummheit. Und zwar eine Dummheit zum Nachteile des Lesers.

Der Link selbst, in seiner technischen Form und seiner sozialen Funktion, er führt also nicht dahin, beim Schreiben »geizig« zu sein. Aus welchem sonstigen Grund kann dann jemand auf die Idee kommen, dass »Linkgeiz« gut ist?

Das ist sehr einfach zu erklären.

Es liegt an einer Erscheinung unter SEO-Schlangenölverkäufern, Web-Monetarisierern und sonstigen unseriösen Hungerkaufleuten, die ich »SEO-Spam« nenne, weil ich sie nicht von Spam unterscheiden kann. Diese Leute haben beobachtet, dass Google die Relevanz einer Website und damit ihre Position in einem Suchergebnis anhand der dorthin weisenden Links von anderen Websites ermittelt, und dann haben sie sich gesagt: »Dieses Relevanzkriterium, das in seiner Grundidee einmal einen Teil der sozialen Wirklichkeit des Web abgebildet hat, müssen wir zumüllen, um unsere Websites von SEO-Schlangenölverkäufern, Web-Monetarisierern und ausgemergelten Hungerkaufleuten künstlich in den Suchergebnissen nach oben zu befördern. Dass die Google-Suche auf diese Weise beschädigt wird und schon mittelfristig für viele Zwecke immer nutzloser wird, nehmen wir dabei für unsere kurzfristigen Geschäftsideen in Kauf. Das Machen von Websites hingegen, die gern und freiwillig von anderen Menschen verlinkt werden, ist uns zu mühsam, da könnten wir ja gleich arbeiten gehen«.

Und dann haben sie damit angefangen, lauter Seiten in das Web zu machen, die sich nicht mehr an menschliche Leser, sondern nur noch an Google richten: Seiten mit ganz vielen Links und mit ganz dünnem »Inhalt«. Google wurde zugespammt.

Natürlich hat Google großes Interesse daran, dass die Google-Suche gute Ergebnisse liefert, denn das ist immer noch das wichtigste Geschäft von Google. Und. Natürlich hat Google auf diese Form der Spam reagiert und seine Algorithmen immer wieder angepasst, um den Schaden an der Qualität des Suchergebnisses zu reduzieren – und zwar unter lautem Wehklagen der SEO-Schlangenölverkäufer, Web-Monetarisierer und sonstigen fragwürdigen Kaufleute aus dem Lumpenproletariat des Internet, die sich wegen der wertvollen Backlinks auch beim »Webmaster Friday« tummeln.

Die gegen Google gerichtete Spam wurde also verfeinert. Nicht mehr die Linkfarm im Web sollte Google manipulieren, sondern gezieltere Links, die eingekauft wurden. (Und das dazu verwandte, ausgesprochen leserverachtende Angebot, ungekennzeichnete und selbstverständlich verlinkte Reklame unter falscher Flagge in Blogs zu veröffentlichen. Mögen die Werber mit solchen Ideen beim Scheißen vom Blitze getroffen werden!)

Auf einmal verwandelte sich der Link, den vorher aus oben gestreiften Gründen fast jeder frei gesetzt hat, ohne sich etwas Besonderes dabei zu denken, in eine geldwerte Handelsware. Ein Link bekam durch den Handel mit Linksetzungen Geldwert.

Ich spreche vom Geld gern als vom »Papier, das Menschen irre macht«. Kaum ist bei einer Sache Geld im Spiele, schon gilt alle Vernunft, jeder richtige Wert und keine Menschlichkeit mehr. Jeder kann das selbst ausprobieren. Zum Beispiel in einer Skatrunde. Spielt man zum Vergnügen, kann es ein heiterer, entspannender Abend werden. Fängt man jedoch damit an, das gleiche Spiel um Geld zu spielen, die vorher geldwertfreien Punkte einen Cent oder gar fünf Cent wert sein zu lassen, bekommt das »Spiel« und das Miteinander in diesem »Spiel« einen anderen Charakter, werden Anstand und Freundschaft hintan gestellt, kehrt eine Anspannung in den Abend ein, die nicht mehr erquickend ist, sondern sogar handfesten Streit hervorbringen kann. Vermutlich hat jeder irgendwann einmal in seinem Leben derartige Erfahrungen gemacht.

Links bekamen auf einmal einen Äquivalenzwert in »Papier, das Menschen irre macht«. Selbst mir als marginalem Mitgestalter des deutschsprachigen Internet werden immer wieder einmal derartige Angebote in mehr oder minder seriöser Form unterbreitet.

Wenn es für einen Link auf einmal »Papier, das Menschen irre macht« gibt, verändert sich der Charakter des Links. Er wird psychologisch zu einer Form von abstrakter Arbeit. Er führt zu vorher absurd anmutenden Gedanken wie diesem: »Warum sollte ich einen Link setzen, ohne Geld dafür zu bekommen, wenn man dafür auch bezahlt werden kann. Ich arbeite ja auch nicht umsonst«. Der »Geiz« mit dem Link ist zwar in Wirklichkeit immer noch sinnfrei, aber es ist durch die Linkvermarktung zu einer irrationalen psychologischen Äquivalenz gekommen; ein gesetzter Link ist zu einer Form von Geld geworden, der im Wahn des »Papiers, das Menschen irre macht« solchen objektiv unpassenden Ideen wie »Sparsamkeit« und »Gewinnmaximierung« unterworfen wird, die für die begrenzte Ressource Geld rational nachvollziehbar wären, für die unbegrenzte Ressource »Linksetzung« hingegen nur psychologisch vernünftig und bei nüchterner Betrachtung absurd sind.

Auf diesem Hintergrund ist es psychologisch völlig »vernünftig«, geizig mit Links zu werden. Die Umwandlung jedes Miteinanders im Internet in einen sozial optimierten Geschäftsvorgang hat jenen gesellschaftskonstituierenden Analsadismus¹ hervorgebracht, der das Miteinander stärker beschädigt als jeder offene Streit. Es ist genau so »vernünftig«, wie sich beinahe jede so genannte »psychische Krankheit« bei genauer Betrachtung als »vernünftig« erweist. Dort, wo das Web vom ersten Moment an ausschließlich unter dem Aspekt des Geschäftemachens verstanden wurde, dort, wo die Contentindustrie sich durch arbeitssparende Zweitverwertung schon erstellter Inhalte eine zusätzliche Profitquelle eröffnen wollte, ohne auch nur an die Besonderheiten und Eigenarten eines Netzes von Computern zu denken, das dazu geschaffen ist, Menschen zusammenzubringen, dort ist der »Linkgeiz« – verlarvt in Floskeln wie »Quelle: Internet« – so gewöhnlich geworden, dass er vielen Lesern kaum noch auffällt. Vermarktung macht das Web eben kaputt, indem es die soziale Funktion des Webs irreparabel beschädigt².

Und das ist der Grund, weshalb ich aus dem Lachen nicht mehr herauskomme. Dort, wo sich die SEO-Schlangenölverkäufer, Web-Monetarisierer und zwielichtigen Hungerkaufleute tummeln, die den »Linkgeiz« mit ihren Geschäftsideen erst hervorgebracht haben, wird eben dieser »Linkgeiz« zum Thema erhoben. Als Linkbait. Auf einer Website, die dafür Backlinks setzt.

Hach, manchmal erzeugt »das Papier, das Menschen irre macht« auch so richtig gute Realsatiren. 😀

Fußnoten

¹Typische Abwehrmechanismen sind Reaktionsbildungen, die Verschiebung und Isolierung des angstmachenden Affekts, und das Ungeschehenmachen. Ritualisierung, magisches Denken, Sammelleidenschaft, die anale Trias von Pedanterie, Geiz und Sturheit prägen den analen Charakter. Das Denken wird beherrscht durch eine Überbesetzung logischer und intellektualisierender Formulierungen unter Aussparung des Affekts

²Ich musste mein Blahblog, das von Anfang an als eine reine Zitat- und Linkschleuder mit Gallengeschmack konzipiert war, wegen des »Leistungsschutzrechts für Presseverleger« zumachen, weil ich es im Rechtsraum der BRD nicht mehr rechtssicher betreiben konnte. Dieses Recht wurde aus rein geschäftlichen Gründen in den Dunkelkammern des Berliner Reichstags von Lobbyisten der Milliardärspresse vorangetrieben und von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen in Rechtsgültigkeit versetzt. Hätte ich im Blahblog nicht zitiert, sondern jedes Mal geschickt umformuliert; hätte ich meine Quellen nicht verlinkt, sondern alles als ein eigenes Werk ausgegeben, wäre ich rechtssicher gewesen. Ein Projekt, das mir (und vermutlich auch den vielen tausend täglichen Lesern) ans Herz gewachsen ist, musste ich einstellen, weil die Contentindustrie es mit ihren Geschäftsideen in eine Schlangenhöhle voller juristischer Unwägbarkeiten verwandelt hat. Mit »Linkgeiz« und ein paar umgestellten Sätzen und ausgetauschten Wörtern wäre es gegangen, denn eine Ausweitung des neuen »Leistungsschutzes« für »kleinste Textbestandteile« auf sinngemäß ähnliche Formulierungen der gleichen Fakten und Gedanken würde spätestens in Karlsruhe vorm Verfassungsgericht scheitern. Das ist das Web, das von Vermarktern hervorgebracht wird: Kein Platz für menschliche Werte, die über den Geldwert einer Sache hinausgehen. Ich wünsche euch allen noch viel Spaß damit.

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4 Antworten zu Realsatire: Linkgeiz

  1. Bio sagt:

    Also gegenüber solchen SEO Heinies bin ich schon linkgeizig 😀 und noch mehr. Bots von solchen SEO-Daten-Harvester werden auch gleich geblockt usw.

    Ein Kollege fragte mich mal nach Backlinks zu den Internet-Shops die er betreut. Weniger die Inhalte von meiner Seite waren wichtig, alleine nur der G00gel PR (von damals 5).
    Dem hab ich auch ne Abfuhr erteilt und ihm gesagt, ich mach mich nicht gern unglaubwürdig. Wenn er meine Seite genauer betrachtet hätte, wüsste er, dass bei mir Werbung keinen Platz findet.
    Dass hat er dann erst mal gar nicht kapiert, da wir ja für die selbe Firma arbeiteten, bis er dann gemerkt hat, dass meine private Hompage eben privat ist und mit Geschäftsintressen nichts am Hut hat.
    Der Typ war übrigens nen studierter BWLer….. so ein gezüchteter Wirtschaftszombie m(

  2. Pingback: Linkgeiz | Henry Schmid

  3. Bio sagt:

    LOL
    Es gibt auch die Linkangst.

    Köstlich wie da versucht wird, das psychologisch zu zerlegen 😉

    Und das ist auch lustig (aus dem Pingback-Artikel von Henry):

    »[…]Zudem habe ich bei mir noch ein Plugin installiert (This Blog will give regular Commentators DoFollow Status. Implemented from IT Blögg ), welches ab dem vierten Kommentar einen DoFollow Link vergibt. Also so gesehen kann ich bei mir einen Linkgeiz bei den Kommentaren auch nicht feststellen.[…]«

    Sich selbst die Bescheinigung ausstellen, nicht Linkgeizig zu sein und das mit einem »Konditionierungsautomaten«, das hat schon etwas irre witziges 😀

  4. Hey, ich finde den Anfang sowie das Ende deines Textes sehr polemisch und bewertent. Der Hauptteil ist allerdings hervorragend! Chapeau! Die Begründung hatte ich mir scheinbar ebenfalls einmal gedacht, allerdings nie derart formuliert! Lieben Dank für die weiteren Denkanstöße!
    Schade finde ich, dass du alle Menschen die SEO betreiben, scheinbar in eine Schublade steckst. Alle Menschen einer Branche zu bezichtigen sie seien Schuld an der Misere ist in meinen Augen schlicht anmaßend!

    Vor allem unter dem Aspekt, dass Linkgeiz weitere Gründe haben kann. Denn auch in der normalen Welt 😉 kommt es vor das Quellen »vergessen« werden. Hier ist der Hauptgrund häufig das Schmücken mit fremden Federn um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Beispielsweise um eine Doktorarbeit zu bestehen. Diese Begründung kann online ebenfalls funktionieren. Ich beobachte dies häufig bei Journalisten :/

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