Bis zum Ende der Werbung im Web sinds nur noch zwei Jahre

Ich habe zu meinem vorhin in der Nacht (und nach Meinung einiger meiner Zeitgenossen: auch in geistiger Umnachtung) geschriebenen und veröffentlichten Text eine Menge Feedback erhalten. Vielfach wurde – wie ich jetzt einräumen muss – zu Recht kritisiert, dass die Abhängigkeit des Firefox-Projektes von Google nicht mehr so groß ist, was in der Tat stimmt. Es handelt sich inzwischen um eine Abhängigkeit von Yahoo, einer Unternehmung, die ebenfalls auf die Sichtbarkeit von Werbung angewiesen ist. Wie leicht zu sehen ist, wird das grundsätzliche Argument von meiner kurzfristigen Recherchefaulheit nicht entwertet.

Eine besonders interessante Rückfrage betrifft die folgende Anmerkung in einer Fußnote:

Ich bin optimistisch und gehe davon aus, dass der Werbemarkt im Internet binnen der nächsten zwei Jahre zusammenbricht; und mit ihm alle darauf basierenden Geschäftsmodelle. Ich habe Gründe für diese Prognose, aber diese sind so komplex, dass diese Fußnote sie nicht fassen kann. Komme es, wie es komme: Bis dahin haben wir den Salat

Ich wurde mehrfach nach meinen ominös wirkenden »Gründen« für diese Prognose gefragt, und ich bin gern bereit, sie hier verkürzt darzulegen – in aller Ausführlichkeit könnte ich daraus einen sehr langen Text machen, zu dem ich gerade nicht die Zeit habe.

Der Angriff auf den Werbemarkt im Web kommt von mehreren Seiten gleichzeitig.

Zum einen liegt die Adblocker-Nutzung in Europa inzwischen bei über zwanzig Prozent, so dass mehr als ein Fünftel der Webnutzer gar keine Werbung mehr sieht. Ergänzend wird auch auf mobilen Zugangsgeräten immer häufiger ein Adblocker eingesetzt. Generell ist diese Zahl steigend, und mit zunehmender Gefährlichkeit und Nervigkeit der meist völlig unerwünschten Reklame wird sie schneller steigen. Niemand mag es, in einer Halde aus unerwünschtem Müll nach dem zu suchen, was er eigentlich haben möchte.

Zum zweiten gibt es automatisierten und trojanifizierten Klickbetrug auf Werbebanner, der ein immer größeres Geschäft wird. In einigen extremen Fällen, die bei den seltenen Untersuchungen mal aufgefallen sind, waren schon jetzt lediglich wenige Prozent der Klicks auf ein Banner von Menschen ausgegangen. (Ich finde gerade in meinem Archiv nur diesen zwei Jahre alten Text mit einer etwas besseren Quote) Eine technische Abwehr gegen diese Betrugsform ist sehr schwierig, denn jedes messbare Anzeichen einer »echten Benutzerinteraktion« beim Klick auf eine rechteckige Fläche lässt sich auch brauchbar von einem Programm simulieren. Die Sichtbarkeit, die von Werbetreibenden bezahlt wird, ist eine verzerrte statistische Illusion, und das wird sich irgendwann bis zu denen herumsprechen, die zurzeit noch das Geld für die Werbung ausgeben. Bis dahin wird aber noch eine Menge Geld bewegt, indem Leute eine Müllseite voller Banner aufsetzen und gemietete Botnetze darin automatisiert »klicken« lassen. Angesichts der Einfachheit dieser »Gelderzeugung« gehe ich sogar noch von einer Ausweitung aus, denn es ist sehr einfach, diese Nummer durchzuführen und es ist sehr schwierig, diese Nummer gerichtsfest zu beweisen, wenn sich nicht gerade jemand ausgesprochen dumm dabei anstellt. Wo die Kriminalität risikoarm, technisch, abstrakt, gewaltfrei und lukrativ wird, finden sich die Täter nun einmal besonders leicht.

Zum dritten sind Werbebanner mit Code von anderen Leuten ein sehr häufig verwendetes Transportmittel für Schadsoftware, was zurzeit den Adblocker zur unverzichtbaren Sicherheitssoftware macht. Die über Ads transportierten Trojanerpacks sind bislang immer der heißeste Schrei der Kriminellen gewesen und wurden deshalb ein, zwei Tage lang von keinem Antivirus-Schlangenöl erkannt. Während das Antivirusprogramm bei einer häufigen und gefährlichen Angriffsform versagt, schützt der Adblocker den Computer zuverlässig. Der Adblocker ist also – jetzt schon, obwohl es immer noch selten offen so benannt wird – eine Sicherheitssoftware, deren Einsatz vernünftig ist; der Verzicht darauf ist hingegen ein Zeichen von Unwissen, Desinteresse und Dummheit. Ich gehe davon aus, dass Unwissen, Desinteresse und Dummheit mit beschissenem Job, schlechter Bildung und geringer Kaufkraft korrelliert sind (die Classe politique mag da ein Ausreißer sein), so dass immer mehr gesehene Werbung bei Menschen ankommt, die sich die beworbenen Produkte gar nicht leisten können. Auch das wird sich irgendwann zu denen herumsprechen, die die Werbung bezahlen – spätestens, wenn sie den Erfolg ihrer Kampagnen ernsthaft kontrollieren.

So viel dazu in Kürze. Es ist ein Thema, zu dem ich eine riesen Betrachtung machen müsste, und das lohnt sich nicht, weil ich davon ausgehe, dass es sich bald erledigt hat. Außer vielleicht auf »schmuddeligen« Seiten, so dass ein wachsender Reputationsverlust der Online-Werbung noch hinzukommt.

Es wurde auch angemerkt…

…dass Google, Facebook und Co in 2 Jahren ihr gesamtes Geschäftsfeld umstellen müssten

Bei Google ahnt man offenbar schon sehr lange, dass das Werbegeschäft zum Ende geht; vermutlich sitzt man dort an direkt erfassten Daten. Die Reaktion Googles auf diese Entwicklung ist aufwändige, teure Forschung und ein auffälliges Streben nach Diversifikation. Google wird diesen Zusammenbruch überstehen, und in zehn Jahren wird sich kaum jemand, der Heimautomation mit Google macht, ein Google-Auto fährt, weitere materielle Google-Produkte nutzt und unter Google… ähm… Alphabet eine große, »coole« Technikfirma versteht, noch daran erinnern, dass Google anfangs einmal sein ganzes Geld mit Werbung gemacht hat. Die Werbung in der Suchmaschine wird vermutlich bestehen bleiben – sie kann übrigens, wenn sie gut geschaltet wird, in vielen Fällen ähnlich nützlich sein wie ein Suchergebnis. Sie wird ohne Javascript auskommen und keinen Code von Dritten enthalten. Und sie wird immer noch ein fettes Geschäft sein, denn Google hat einen unglaublich guten Algorithmus zum Auffinden von Netzinhalten, dessen Beliebtheit bei den Nutzern nicht aus dem Nichts gekommen ist. Aber sie wird nicht mehr das Hauptgeschäft sein.

Facebook wird es nicht überstehen. Twitter auch nicht. Andere S/M-Sites¹, deren verachtenswertes Geschäftsmodell darin besteht, erwünschte Kommunikation mit unerwünschter Reklame zu vergällen, auch nicht. Und der gegenwärtige Online-Journalismus ebenfalls nicht. Keine der teilweise an der Börse hochkapitalisierten Klitschen ohne seriöses Geschäftsmodell, die da recht schnell zusammenbrechen werden (für Facebook und Twitter, die als »Geschäftsmodell« nur eine Datensammlung und eine Werbemöglichkeit sind, wird es die Insolvenz bedeuten), werde ich vermissen – genau so wenig, wie ich MySpace² vermisse. Irgendwelche LayerAds werde ich übrigens auch niemals vermissen. Nichts am gegenwärtigen Irrsinn der Monetarisierung durch Werbung werde ich vermissen. Ganz im Gegenteil, ich werde mich freuen, wenn ich sehe, was nicht mehr da ist. Und ich glaube nicht, dass ich da der Einzige bin.

Schon in fünf Jahren wird jeder wissen, was »Big Data« und Werbung im Internet wirklich waren und jetzt bereits sind: Die Tulpen des 21. Jahrhunderts

Es wird übrigens auch nach diesem Zusammenbruch noch Werbung geben, sogar im Web. Es wird andere Werbung sein. Es wird Werbung sein, die nicht aus dem Code irgendwelcher Dritter besteht, den man in die eigene Seite einbettet. Es wird Werbung sein, die nicht ihren Betrachter offen verachtet. Es wird bessere Werbung sein, wenn auch immer noch keine »gute«, weil es keine »gute« Werbung geben kann. Es gibt ja auch heute noch Tulpen.

¹S/M ist meine Abk. für »social media«. Aus Gründen.

²Das war eine Website, wo sie alle waren, bevor es Facebook gab.

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