Dialoge, die das Internet schrieb

Ich bin eher unwillig, etwas dazu zu schreiben. Zu dieser Idee von Google, dass man für Kommentare auf YouTube nun kein YouTube-Konto mehr, sondern ein Google-Plus-Konto benötigt. Zu den arschlochhaft verschleiernden Texten, mit denen eine derartige Zwangsumstellung den bestehenden YouTube-Nutzern wie eine eigene Entscheidung untergejubelt werden soll, kein Wort mehr. Aber ich schreibe trotzdem etwas dazu – in Form eines Dialoges zwischen Norbert Nutzer, im Folgenden kurz einfach N. N. genannt, und Nero Claudius Caesar Augustus Googleicus, im folgenden kurz einfach Nero »Google« genannt. Wer die auffällig in der Satire verstreuten Wahrheiten findet, möge sie weitergeben! Wer die in den Wahrheiten versteckte Realsatire findet, möge herzhaft darüber lachen! Google-Accounts kann man übrigens löschen…

Norbert Nutzer: Oh, hoher Herr, schön, einmal bei ihnen vorsprechen zu dürfen.

Nero Claudius Caesar Augustus Googleicus: Was ist dein Begehr, Nutzer?

N. N.: Ich möchte wieder dieses YouTube nutzen können, das sie zerstört haben.

Google: Aber das ist doch nicht zerstört, du kannst doch weiterhin wie gewohnt Videos anschauen.

N. N.: Ja schon, aber ich kann sie nicht mehr kommentieren.

Google: Doch, du kannst natürlich auch kommentieren. Das habe ich gerade erst neu aufgebaut, und es funktioniert.

N. N.: Aber warum haben sie es neu aufgebaut? Es hat doch vorher auch funktioniert. Wenn ich mit meinem YouTube-Account angemeldet war, hatte ich ein Eingabefeld. Dort konnte ich meine Anmerkungen, Fragen, Wünsche, Ideen und Widersprüche zum Video loswerden. Dann habe ich den Text abgeschickt, und er wurde zusammen mit anderen Kommentaren sichtbar.

Google: Aber Nutzer, das kannst du doch immer noch tun.

N. N.: Nein, Erhabener Herrscher der Webdienste, das kann ich jetzt nicht mehr. Wenn ich jetzt in das Feld zum Kommentieren klicke, erscheint ein Dialog, der mich fragt, ob ich weiterhin meinen YouTube-Namen oder lieber meinen Google-Namen benutzen will, um die vorher stets freigeschaltete Kommentarfunktion freizuschalten. Und wenn ich darin auswähle, dass ich weiterhin meinen YouTube-Namen verwenden will, erscheint ein weißes Fenster, das ich mit einem »X« wegklicken kann*, und dann wird mir in einem grün hinterlegten Feld gesagt, dass ich später noch einmal daran erinnert werde.

Google: Das liegt daran, dass du deinen YouTube-Namen verwenden willst. Würdest du deinen Google-Namen verwenden, könntest du nach einer kurzen Konfiguration gleich wieder kommentieren.

N. N.: Aber Google, wenn ich »meinen« Google-Namen verwenden will, wird mir – was übrigens nirgends in deinem gnädig eingeblendeten Dialog deutlich wird – ein Account bei Google Plus eingerichtet, den ich dann zum Kommentieren verwenden kann. Ich will aber keinen Account bei Google Plus.

Google: Dann kannst du eben nicht mehr kommentieren.

N. N.: Aber es ging doch vorher, und zwar einfach und problemlos.

Google: Ich habe ein Dekret erlassen, dass jeder, der einen von mir angebotenen Webdienst verwendet, automatisch auch einen Account bei Google Plus bekommt. Dieses Dekret gilt auch für dich, Nutzer. Und das Vergangene ist vor allem vergangen.

N. N.: Aber warum werfen sie ein funktionierendes Kommentarsystem einfach so weg? Die Menschen haben sich daran gewöhnt. Sie haben es genutzt. Es hat ihnen genützt. Es war gut, wie es war.

Google: Das wirst du nicht verstehen. Angehende Weltherrscher haben dunkle Geheimnisse.

N. N.: Versuch sie es mir einfach zu erklären, Erhabener, vielleicht verstehe ich wenigstens etwas.

Google: Kannst du dich noch erinnern, wie ich im Sommer 2011 Google Plus eingeführt habe? Wie ich einen »geschlossenen Betatest« veranstaltet habe, der so geschlossen war, dass die ganze Presse darüber berichtet hat und dass jeder an eine Einladung kam? Ich habe wirklich alles getan, um viel Aufmerksamkeit wie möglich für Google Plus zu bekommen, und ich habe diese Anstrengungen in der ganzen Zeit nicht nachgelassen. Ich habe Leuten werksseitig eine App in ihr Handy installiert, die sie nicht löschen können. Ich habe normale Reklame dafür gemacht. Und trotzdem ist Google Plus – gemessen an meinen Erwartungen – ein Flop, ein brachliegendes Angebot. Da habe ich mir gesagt, so wahr ich Nero Claudius Caesar Augustus Googleicus bin, wenn sie mein Google Plus nicht freiwillig wollen, dann zwinge ich es ihnen so oft auf, wie es nur möglich ist. Zum Beispiel jetzt bei YouTube. Nun wird aus jedem YouTube-Kommentar ein Ereignis bei Google Plus. So kann ich den Menschen, die meine Schlacht um die Vorherrschaft im Web finanzieren, Zahlen präsentieren; Erfolge, die sie überzeugen. Und ich kann meine eigenen Pläne vorantreiben.

N. N.: Aber Google, ist es nicht ein bisschen unfair, wenn sie die Videos anderer Leute als Köder für ihre persönlichen Pläne zu verwenden?

Google: Herrschaft ist unfair, Nutzer. Was die Gladiatoren tun, die in meinen Zirkus sind, das bestimme ich. Den meisten Menschen ist es eh gleichgültig, so lange sie beim Zuschauen nur gut unterhalten sind. Du bist Nutzer. Der Hund wedelt mit dem Schwanze, und nicht der Schwanz mit dem Hunde. Und jetzt mach deine tiefe Verbeugung und leg dir deinen Google-Plus-Account an, damit du wieder kommentieren kannst!

Norbert Nutzer macht seine tiefe Verbeugung, stellt sich in einer keck aufkommenden Phantasie vor, wie er dem Kaiser in die Krone kackt und tritt ab. Zurück bleibt Nero Claudius Caesar Augustus Googleicus, umgeben von der obszön glimmenden Glorie seiner Selbstherrlichkeit. Er singt, begleitet von den rauschenden Platten seiner Datacenter, im monotonen Sang Zahlen vor sich hin und entwirft dazu zusammen mit einem Stab von Geheimdienstmitarbeitern, Großaktionären und sonstigen Arschlöchern auf geduldigen Reißbrettern das neue Internet nach seinen Vorstellungen. Im Hintergrund brennt verblüffend langsam das alte Web ab. Eine täglich größer werdende Anzahl von Idioten wärmt sich an den Flammen und freut sich. Vorhang.

*Warnung: Der Link führt zu Google. JavaScript ist erforderlich.

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10 Antworten zu Dialoge, die das Internet schrieb

  1. Sascha sagt:

    Hi Elias,

    YouTube ist wirklich nur noch mit Satire ertragbar. Alles fing damit an, als man Anfang 2012 damit begann die Kanaldesigns in einheitlich grau zu zerstören. Der nächste Schritt war das Design so anzupassen, das die Werbung schön auf mobilen Geräten angezeigt werden kann und jetzt der Google+ Zwang.

    Was ich überhaupt nicht verstehe ist, dass YouTube als funktionierendes soziales Netzwerk, welches außerdem viel Kohle durch Werbung reinspült, für dieses unübersichtliche und hässliche Google+ geopfert werden muss? Sind Benutzerdaten langfristig wirklich wertvoller als Werbeeinnahmen?

    Schaue ich mir jedoch die Startseite von YouTube an und sehe die Vorschaubilder und die Aufrufe darunter … wundert mich eigentlich nichts mehr.

  2. cassiel sagt:

    Das Youtube-Rom brennt und Nero Claudius Caesar Augustus Googleicus spielt dazu auf der Leier

    Der Link zu productforums.google.com geht übrigens auch ohne JavaShit. Nur für die nicht funktionierende »Aktualisierung« aka Flucht aus der brennenden Stadt muss man JavaShit für google aktivieren.

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