Da gehst du (für eine erbettelte Scheibe Brot) zu jemanden in die Bude, der seine Glotze an hat, und dann denkst du (ist ja, wenn man so an Ratze denkt, durchaus ein erfreulicher Gedanke), der Papst wäre heute gestorben. Da läuft in der Glotze eine ganz tolle Übertragung, die Kamera hält auf einen Sarg, ein ganzes Stadion um diesen Sarg herum ist voll und voll mit irgendwelchen Menschen, und irgend so ein Sprecher labert darauf aus dem Off vor Betroffenheit triefende Wörtchen mit seiner professionell abgedämpften Stimme, dass dir allein von diesem Teil der Darbietung der Appetit auf die Scheibe Brot schon wieder vergeht. Und im Stadion halten irgendwelche Typen irgendwelche Reden ohne besonderen Inhalt, und drumherum sitzen zehntausende, die klatschen. Ich habe echt Hunger, und ich bin jetzt auch schon seit zwei Wochen so krank, dass ich nur noch ein Schatten meiner selbst bin, aber als ich diese klinisch reine, mediale Leichenfledderei gesehen habe, ist mir jeder Appetit vergangen und ich friere auch gern wieder ein bisschen. Denn so kalt, wie einem davon wird, kann einem von keinem Herbst werden.
Sagt mal, Leute: Habt ihr keine Selbstmörder in eurer Nachbarschaft, die wegen ihres Scheißlebens, ihrer Vereinsamung, ihrer Aussichtslosigkeit kurz davor sind, sich die Weltschmerztablette zu geben? Wenn nicht, kann ich mindestens 10 solcher Leute anbieten, sie gehören zu meinem täglichen Umgang – und in diesem Jahr sind zwei gute Freunde von mir in den Freitod gegangen, weil sie einen unerträglichen Zustand beenden wollten. Erspart bitte mir und eurer Mitwelt dieses betroffene Getue und Geheuchel, weil irgend so eine gedopte Litfaßsäule des Profisports abgenippelt ist und jetzt unter aller psychischer Manipulation des hiesigen Hollywood verscharrt wird, während um euch die Welt im Flammen steht. Eure Gegenwart und eure Kälte ist echt der beste Grund, sich gleich hinterher wegzunehmen, weil man euch nicht mehr erträgt.
Bio am 15.11.2009 um 14:24
ich kann dir nachfühlen. ein enorm ekeliges schauspiel, mal wieder, was da abgeht……..
gute genesung nachtwächter.
mondstern am 15.11.2009 um 15:47
1. ich kann dieses thema auch nicht mehr hören und ja davon bekommt sicher auch jeder andere bauchschmerzen.
2. von mir auch gute besserung
tux. am 15.11.2009 um 16:08
Gute Besserung, jedenfalls körperlich. Seelisch ist da wohl alles zu spät.
(Und du hast so verdammt Recht!)
prosa am 15.11.2009 um 17:33
… alles Produkte der neoliberalen Weltverschwörung, die Clubs, die Quote, die Glotze, die Typen, die sie anhaben müssen, wenn sie grad kollektiv ›trauern‹ wollen. (Auch der mit der Bude und der Scheibe Brot scheint ja so einer zu sein – oder wollte der sich nur künstlich aufregen – wie Du zu Recht in ganz echt?
Aber lass Dich von sowas nicht krank oder tot machen, Nachtwächter! Wer passt denn sonst für (und auf) uns auf? Drüben in der ›Freiheitsfabrik‹, die Du ja ab und zu verlinkst, erzählt einer, dass für ihn nur un_ver_filmte, un_ver_hackstückte Trauer echte Trauer iss oder so; dem kannst Du Dich anschliessen, der ist okay!
Btw.: Als ich noch gegenüber einer sog. ›Nervenheilanstalt‹ wohnte – zwischen uns nur die Gleise – haben sie da fast jede Woche so einen armen Menschen tot aufgesammelt; die Klinik hat dann irgendwann die Konsequenz gezogen, über ihre Patienten eine Ausgangssperre zu verhängen (als ob’s die noch nicht ›dunkel‹ genug hätten!), damit den Anwohnern der Anblick der Einsätze erspart bliebe; das war falsch, denn eigentlich hätten sie ihnen doch helfen sollen, wieder an Gleisen entlang zu gehen, anstatt … ach.
Nachtwächter am 15.11.2009 um 21:15
Ein fröhliches Danke an alle – ich musste doch noch ein paar Wörtchen mehr dazu schreiben…
dauni am 16.11.2009 um 15:25
Deutschland braucht seine »Helden«. Da kann man gut von dem Elend ablenken, das tagtäglich exisitiert. Gute Besserung Dir.
fellow passenger am 16.11.2009 um 20:42
Wer weiß nicht, wie es ist wenn ein Freund sich entleibt. Hätte ich es nicht verhindern müssen? Wie hätte ich es verhindern können. War es am ende meine Schuld? Die Medienmacher wissen es scheinbar nicht. Wie sonst könnten Sie mehrere Tage lang, inzwischen sind es fast schon zwei Wochen, über jedes einzelne Detail seines Ablebens berichten. Obwohl sie um den Werher-Effekt wissen müssten, lassen sie sich von Quote, Auflage und Sensationsgier leiten. Vielleicht kommt, wenn es um die Berichterstattung über den Fußballspieler ruhiger wird, bringen sie als nächstes wohl einen tagesaktuellen Body Count jener Nachahmer, die sie selbst herbeigeschrieben haben.
Wenn in der Welt nicht genug passiert über das es sich zu schreiben lohnt, liegt es anscheinend nahe gleich selbst nachzuhelfen.
Hirnfick 2.0 » Blogarchiv » Medienkritik XVI½: Dem Mann seiner Schwester geht es gut. am 17.11.2009 um 14:44
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