Tolle Idee des Tages: Die Hannoversche Allgemeine Zeitung will die Diskussionskultur auf ihrer Website, vor allem die Disziplin und den Tonfall, verbessern, indem die alten Leserkommentare durch ein Webforum ersetzt werden. Ob die sich vorher mal in den Trollwiesen Foren von heise online angeschaut haben, wieviel Erfolg so eine tolle Idee verspricht?
Die Idee, dass sich menschliche Probleme auf rein technischem Weg lösen lassen, finde ich immer wieder zum Gackern komisch. Wer etwas gegen Trolle auf seiner Website tun möchte oder muss, dem bleibt letztlich nur despotisches Moderieren mit ordentlichem Durchlöschen – bei einigen Websites zu journalistischen Produkten geht dies bis zur scheinbaren Willkür (Trolldeutsch: Zensur), weil die hausinternen Richtlinien entweder nicht so recht vorhanden sind, niemals transparent werden oder den Rahmen der (immer vorhandenen) politischen Ausrichtung auch dort durchsetzen sollen, wo scheinbar die Leser zu Worte kommen – um keine Despotie der Dummheit entstehen zu lassen. Wer das nicht will, lebt halt irgendwie damit, dass das Medium Internet anonym ist und eine recht geringe Zugangsschwelle zu interaktiven Anteilen einer Website bietet und deshalb auch leicht den prollen Charakter eines bierseligen Stammtisches bekommt, der auf den gefühlten Wert der redaktionellen Inhalte zurückschlagen kann. Für eine Zeitung wäre das ein schwieriger Weg, immer noch unvertraut und neu, von einem festen Vertrauen in die Denkfähigkeit der Leser durchdrungen. Machen wir uns doch nichts vor! Der Maßstab eines Blogs (also einer persönlich geprägten, chronologisch geordneten Sammlung von Ideen, Gedanken, Beobachtungen, manchmal Wirrem und oft Unausgegorenem) ist nicht überall angemessen. Ich als völlig unwichtiger Blogger sage manchmal zu mir selbst, dass ich in meinen Blogs immer noch der »Obertroll« bin, aber ich glaube nicht, dass eine Zeitung oder ein Magazin mit einer derartigen Einstellung für mich genießbar wäre. Vielleicht wären die Zeitungsverlage gut beraten, wenn sie einmal darüber nachdächten, ob sie derartige Interaktionsmöglichkeiten – so etwas ist ja auch eine Mode, und was in Blogs meiner Meinung nach unentbehrlich ist, mag blind aufgegriffen andernorts eine Modetorheit sein – überhaupt benötigen; ob es dem Internetauftritt einen zusätzlichen Wert hinzufügt, oder ob eine andere Form (die wohl noch zu finden wäre) angemessener sein könnte. So lange sich aber alle Werte der abstrakten technischen Maßzahl der page impressions und der Monetarisierung durch die Vergällung der Inhalte mit eingeblendeter Reklame unterordnen, so lange werden wohl klickige Elemente ohne besondere Reflexion in jedes Produkt des »Qualitätsjournalismus« aufgenommen.
Nachtrag: In Hannover sind drei Jahre eine Ewigkeit…
tux. am 21.8.2010 um 17:20
Öhm, die HAZ hatte doch schon vor etwa fünf Jahren ein Forum und hat es durch diesen Artikelkommentierkack ersetzt, um »bessere Leserbindung« zu schaffen (seitdem schreibe ich nicht mehr mit)…
Nachtwächter am 21.8.2010 um 18:13
Huch, das habe ich gar nicht gemerkt. Ich habe halt zu wenig Neigung, die Websites von Druckwerken zu besuchen, die mich schon auf Papier anöden.
tux. am 21.8.2010 um 18:29
War aber lustig dort. Wir haben den ganzen Tag dummes Zeug geredet und die Moderatoren geärgert. Diesen Herrn Aust kannte ich noch gar nicht. Mal sehen, wie stark seine Nerven sind…
SCNR.
(Ich lese nie Zeitung, aber so ein Off-Topic-Forum hat schon was.)
tux. am 21.8.2010 um 18:53
Service:
http://web.archive.org/web/20071016110825/ http://hazforum.de/
Hirnfick 2.0 » Blogarchiv » Drei Jahre sind eine Ewigkeit. In Hannover. am 21.8.2010 um 19:42
[…] ist es trotz aller Unkenrufe als Fortschritt zu sehen, dass die Madsack-Gruppe inzwischen vergessen (oder verdrängt?) hat, dass […]
papa san am 21.8.2010 um 20:06
Jein. Die IVW setzt ihr Augenmerk mehr auf Visits als auf PI und eine inhaltliche Filterung (user generated content vs. redaktionelle Inhalte) gibt es auch seit etlichen Jahren. Kategorien-Visits werden also sehr wohl berücksichtigt und sind ein preisbildendes Element.
Solche Dinge wie Foren und Usercomments sind gerade für Regionale Blätter nicht unwichtig. Aber wenn so etwas zu sehr ausufert, wird es auch rufschädigend und ein Kostenfaktor. Schwer, da die Waage zu finden. Aber eine Rückkehr zu den alten Foren würde ich mir aus technischen und personellen Gründen auch zweimal überlegen. Eben, es ist oft OT.
tux. am 21.8.2010 um 20:14
So lange OT im OT-Bereich bleibt – was NUR mit einem Forum überhaupt technisch möglich ist! –, ist er ein wichtiger Faktor zur langfristigen Kundenbindung auch von Leuten, die sonst nicht viel von der HAZ halten.
papa san am 21.8.2010 um 20:35
Du sagst es ja selbst, Du liest nicht Zeitung. Demnach bist Du auch nicht deren Kunde, ausser dass Du in einem Bereich, der werblich nicht so dolle ist, ein paar Cents mit Visits generierst. Ein Vollzeit-Mod hingegen ist kein unerheblicher Kostenfaktor. Und OT – was sollte die Zeitung davon haben?
tux. am 21.8.2010 um 21:11
Page Impressions.
Sascha Aust | Madsack Online am 22.8.2010 um 00:32
@ Nachtwächter: Hübsche Idee, über das Forum der HAZ zu schreiben – und die dahinter steckende Motivation aus einem Tweet der Kollegen von der Neuen Presse zu interpretieren
Was das HAZ-Forum angeht: Ja, wir hatten in den vergangenen Jahren versucht, eine offene Kommentarfunktion zu etablieren. Das hat nicht ganz optimal funktioniert, aber wir sind ja lernfähig. Von den Nutzern wurde angeregt, Kommentare nur noch nach Anmeldung zuzulassen oder ein Forum einzurichten. Das schien auch uns eine gute Idee.
Auf eine rein technische Lösung, wie von Ihnen vermutet, wollen wir aber gar nicht setzen. Wir werden im Forum verstärkt moderieren – und dabei den Versuch machen, unsere Nutzungsbedingungen transparent durchzusetzen. Dabei geht es aber nicht darum,«den Rahmen der (immer vorhandenen) politischen Ausrichtung auch dort« durchzusetzen »wo scheinbar die Leser zu Worte kommen«. Wir haben im Rahmen der offenen Kommentarfunktion beobachten können, dass ein deutliches Interesse der Nutzer besteht, über die Artikel in unserem Portal zu diskutieren. Die Funktion wurde intensiv genutzt und es gab auch jede Menge vernünftige Diskussionen – natürlich gab es auch entsprechend viele Kommentare, die nicht so richtig schon zu lesen waren. Also haben wir uns überlegt, wie wir den Nutzern, die sachlich diskutieren möchten, einen besseren Rahmen dafür schaffen können. Das Forum scheint uns dafür gute Möglichkeiten zu bieten. Ob sich das bewährt, bleibt abzuwarten – im schlechtesten Fall müssen wir neu überlegen, im besten Fall entsteht im Forum eine funktionierende Community.
Was das ehemalige HAZ-Forum angeht: Soooo aktiv wurde das in der Endphase nicht mehr genutzt – mit Ausnahme des 96-Bereichs (davon kann man sich ja auch bei der Waybackmachine überzeugen). In den anderen Bereichen war eine sehr überschaubare Zahl von Nutzern unterwegs und die Diskussionskultur hatte in einigen Bereichen massiv gelitten. Von daher war ein Neustart mit einer anderen Funktion gar keine so dumme Idee.
Ach so: @ tux: Der Herr Aust war beim alten Forum schon dabei und hat sehr gute Nerven
papa san am 22.8.2010 um 00:45
Die allermeiste Forensoftware ist veraltet, schlecht skalierbar und sieht aus, wie direkt aus dem Internetz-Pleistozän herbei gebeamt. Das überhaupt gangbar zu machen, ist also schon nicht ganz ohne. Und ob »Kommentare nur noch nach Anmeldung« da für sehr viel Lebhaftigkeit sorgen werden oder ob das dann bei überschaubarer Userschaft wie üblich recht schnell im eigenen Saft schmort, bleibt dann abzuwarten. Abgesehen davon wird mir immer relativ schlecht, wenn ich irgendwo unmotiviert das Wort »Community« lese.
Nachtwächter am 22.8.2010 um 01:40
Hui, was Besuch in diesem nächtlichen Keller ewigen Blahens!
»[…] und die dahinter steckende Motivation aus einem Tweet der Kollegen von der Neuen Presse zu interpretieren« – ach, so sehr stecke ich da nicht in den Interna dieser beiden unterschiedlich gefärbten aber sonst gar nicht unähnlichen toten Baumsorten, dass ich jeden Namen gleich dem Produkt zuordnen kann. Ich bin hier schließlich der »Obertroll«, hab ich ja selbst gesagt. Seit wann muss ein Troll mehr können als ein bisschen zu provozieren.
»[…] Kommentare nur noch nach Anmeldung zuzulassen […]« – Ich kann gern einige tausend Mailadressen von Leuten rausgeben, die sich nur für gewisse Medikamente, Softwaredownloads (natürlich für Geld, aber doch nicht lizenziert) und so weiter zu interessieren scheinen. Und was ein echter Troll ist, das lässt sich durch keinen Registrierungszwang abhalten. Es gibt (dank des Mailadressenmissbrauchs durch Spammer und des Adresshandels durch diverse Anbieter im Internet) so erfreulich viele Möglichkeiten, sich ganz schnell eine Wegwerfadresse zu holen, dass man vor Blacklists gar nicht mehr nachkommt, wenn man jemanden »richtig« identifizieren will. Wer sich eine Stimme verschaffen will, lässt sich nur durch Hinterherlöschen stummmachen. Das ist übrigens ein Grund, weshalb hier jeder völlig anonym reinschreiben darf, was in letzter Zeit wieder verstärkt genutzt wird. Anmeldungen und Registrierungen sind Schlangenöl.
»[…] wie von Ihnen vermutet […]« – im bürgerlich einst den verbrecherischen Adel nachäffenden Plural lasse ich mich gar nicht gern ansprechen, für nette Menschen bin ich der olle Penner Elias, für weniger nette Menschen Spott- und Tiernamen nach freier Wahl. Man kann mich natürlich auch mit einem Plural beleidigen…
»[…] Wir werden im Forum verstärkt moderieren – und dabei den Versuch machen, unsere Nutzungsbedingungen transparent durchzusetzen […]« – Also probierts ruhig (mal wieder) mit einem Forum. Das wird eine Menge Arbeit für mindestens vier Leute machen. Irgendwann werde ich davon hören, wenns ein Erfolg ist, denn interessante Neuigkeiten finden immer irgendwann den Weg zu mir. Richtig interessante sogar, bevor sie in der Zeitung stehen. Vermutlich werde ich auch, lange bevor es in der Zeitung steht, davon hören, wie die Leute, die da die richtig viele Arbeit machen, bezahlt werden und was das für Leute sind und warum sie das machen. Ich glaube, ein Journalist kann sich gar nicht vorstellen, was so manchem Verachteten so zu Augen und zu Ohren kommt, wenn keine gesellschaftlich andressierte Scheu mehr die kleinen Lügen erzwingt, die für so viele Menschen zur großen Lüge des eigenen Lebens werden. Aber was ich »interessant« nenne, das ist natürlich auch mein Interesse, nicht das genormte Interesse eines Menschen, der die Deutungshoheit der classe politique, der PR, der unkritisch übernommenen Presseerklärungen und der NITF-Feeds der ziemlich zentralen Agenturen für seine Meinungsvergebildwerdung übernimmt.
»[…] wie wir den Nutzern, die sachlich diskutieren möchten, einen besseren Rahmen dafür schaffen können […]« – Vielleicht führt so ein Forum sogar zu den so dringend ersehnten page impressions, um die es bei der ganzen Sache eigentlich und wirklich geht. Der Madsack-Verlag dürfte allerdings einen Gutteil der bewussten und denkenden Internetnutzer schon längst verprellt haben und nur mit Mühe zurückgewinnen können, spätestens seit diesem gleichermaßen lächerlichen wie zynischen Enteignungsversuch namens »my Heimat«, der mal gerade ein Jahr her ist. Na ja, es bleibt ja immer noch genug Klickviech übrig, das bespaßt sein will. Diese Klickviech benutzt erfreulicherweise auch meist keine Adblocker und wundert sich auch nicht drüber, dass es aus der Zeitung und »dem Internet der Zeitung« niemals erfährt, was das ist.
»[…] natürlich gab es auch entsprechend viele Kommentare, die nicht so richtig schon zu lesen waren […]« – oh, die kenne ich zu gut. Ich stehe selbst öfter mal kurz davor, mit eisernem Wischmop durch ein paar Projekte zu gehen, habe es bis jetzt aber immer geschafft, darauf zu verzichten. (Bis auf einige wirklich eskalierende Situationen.)